Dement und orientierungslos: Eine Hotline hilft in Bad Nauheim

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  • von Isabell Steinhauer
Die Macherinnen Ingrid Schmidt-Schwabe (l.) und Heidy Lang mit Hund Lilli im „Demenz-Ja“ in Wisselsheim. Auch Puppen und Stofftiere sind für viele Besucher wichtig.

Wenn an Demenz erkrankte Menschen „ausbüxen“, ist das kein Weglaufen. Meist haben sie ein Ziel vor Augen, etwa das Zuhause. In Bad Nauheim gibt es Hilfe, wenn die Orientierung weg ist.

Seit dem 1. Oktober befindet sich das „Demenz-Ja“, eine Tagesbetreuungsstätte für demenziell erkrankte Menschen, im Bad Nauheimer Stadtteil Wisselsheim. Heidy Lang gründete die Begegnungsstätte 2011 in Bad Nauheim als Treffpunkt für Betroffene und Angehörige und zur Tages- und Stundenbetreuung. Auch das Demenzcafé des Freiwilligenzentrums Bad Nauheim, Austausch und Treffpunkt für Angehörige, hat hier dreimal im Monat freitagnachmittags eine Heimat gefunden. Die Räume sind gemütlich eingerichtet, mit Sofas und Sesseln, wie im heimischen Wohnzimmer. Hier werden Tee und Kaffee getrunken, man unterhält sich, regelmäßig wird musiziert, oder es gibt Vorlesestunden. Hündin Lilli, „unsere wichtigste Mitarbeiterin“, wie Heidy Lang lachend sagt, begrüßt freudig die Gäste.

Wichtige Nummer: 0 60 32/50 99 24

Neben ihrer täglichen Arbeit im „Demenz-Ja“ betreut Heidy Lang die „Silberstern“-Hotline. „Zukünftig werden zunehmend Menschen mit Orientierungsschwierigkeiten unterwegs sein. Sie finden sich im Alltag nicht mehr zurecht, verirren sich, finden nicht nach Hause“, erklärt Ingrid Schmidt-Schwabe, Vorsitzende des Freiwilligenzentrums Bad Nauheim, die das Projekt ins Leben gerufen hat und hessenweit Aufklärungsvorträge und Schulungen zum Thema Demenz anbietet. Die Hotline der Hilfe-Insel „Silberstern“ mit der Telefonnummer 0 60 32/50 99 24 ist 24 Stunden besetzt: „90 Prozent der Zeit klingelt sie auf meinem Handy“, sagt Lang. „Es ist für die Betroffenen angenehmer und nicht so beängstigend wie in einer verwirrenden, arbeitsamen Polizeistation zu warten“, erklärt Schmidt-Schwabe. Auch die Hotline sei eine in Bad Nauheim einmalige Einrichtung.

Zwei Einsätze in jüngerer Vergangenheit

Wenn Lang ein Anruf über die Hotline erreicht, macht sie sich sofort auf den Weg. Zweimal sei dies kürzlich der Fall gewesen: Ein älterer Herr, der das Seniorenheim verließ, um nach Hause zu gehen, und eine ältere Dame, die mit dem Zug ihre Schwester besuchen wollte. Zunächst geht es darum, die Identität zu klären. „Viele demenziell erkrankte Menschen haben vergessen, wo sie leben“, sagt Lang, „sie erinnern sich aber oftmals noch an ihren Namen und an Orte, an denen sie früher gelebt haben. Ich fange mit dem Betreffenden ein behutsames Gespräch an. Einfühlsam nachzufragen, ist ganz wichtig.“ Natürlich frage man parallel auch in den Altersheimen und bei der Polizei an, ob jemand vermisst werde.

Etiketten in Kleidung nähen

Eine weitere Möglichkeit sei es, in der Kleidung nachzusehen, oftmals nähten die Seniorenheime Etiketten hinein, denen man zum Beispiel eine Zimmernummer entnehmen könne. „Aus Erfahrung kann ich erkennen, welches Heim es sein könnte“, sagt Lang. Dazu frage sie höflich „Darf ich Ihnen den Kragen richten?“, um das Einverständnis zu bekommen, in der Kleidung nachzusehen.

Sprach man früher von einer „Weglauftendenz“ demenziell erkrankter Menschen, bezeichnet man es heute als „Hinlauftendenz“. Denn eigentlich immer haben die Betroffenen ein klares Ziel, suchen ihr Zuhause oder die Familie. „Sie suchen meist nicht ein bestimmtes Haus, sondern ein Gefühl, etwas, das sich vertraut anfühlt, nach Zuhause, nach Geborgenheit“, erklärt Heidy Lang. „Zuhause – das ist ein kuscheliges Gefühl, nicht ein altes Haus.“ Wichtig sei es, die Bevölkerung auf den Umgang mit demenziell erkrankten Menschen aufmerksam zu machen, sagt Schmidt-Schwabe: „Manchmal muss man einfach persönliche Hemmungen überwinden und auch mal fragen ›Kann ich Ihnen helfen?‹“

Entlastung für die Angehörigen

„Der Bedarf für flexible Tagesbetreuungen hat zugenommen“, erklärt Heidy Lang zur Tagesbetreuungsstätte „Demenz-Ja“. Auch Angehörige dementiell erkrankter Menschen brauchen mal eine Auszeit, um Termine wahrzunehmen oder einfach mal spazieren zu gehen. „Wir fragen nicht“, sagt Lang, „jeder Angehörige hat das Recht, auch mal ein paar Stunden Freizeit zu genießen.“ Daher seien auch die Zeiten im „Demenz-Ja“ flexibel und kurzfristige Betreuungstermine möglich. „Das ist einmalig in der Wetterau“, bestätigt Ingrid Schmidt-Schwabe, Vorsitzende des Freiwilligenzentrums Bad Nauheim.

Wetterauer Zeitung 8.11.2019

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